Die Biographie von Dorél Dobocan ist dramatisch und sogar abenteuerlich: 1951 im rumänischen Temeschburg geboren, versuchte er schon mit zwölf Jahren aus dem Lande zu fliehen, wurde gefangen und zum ersten Mal verurteilt. Dieser Fluchtversuch hatte offensichtlich keine politischen Gründe und war eine intuitive Äußerung des unabhängigen Charakters des zukünftigen Künstlers. Es war das Gefängnis, wo er von einem in dieselbe Zelle eingekerkerten Professor den ersten Philosophie-Unterricht erhalten hat. Die gesamte Unterdrückung durch das totalitäre Regime schonte auch Minderjährige nicht. Seit dieser Zeit lebte Dobocan unter der ständigen Aufsicht der Geheimpolizei, wurde mehrmals verhaftet und wurde sich schon damals der Situation der Unfreiheit in vollem Maße bewusst, die er erst 1978 überwinden konnte, als es ihm trotz allem gelang, das noch viele Jahre danach unter dem Ceauşescu-Regime leidende Land zu verlassen und nach Deutschland zu gehen.
Dieser angespannte und ereignisvolle Lebenslauf könnte für die Interpretation des Werkes von Dobocan hilfreich sein: In seinem introvertierten Wesen, in seiner Neigung zu Harmonie und Meditation könnte man eine klassische Situation zur Überwindung äußerer Umstände sehen. Vielleicht sind solche Überlegungen nicht unbegründet. Allerdings setzt eine vollwertige Interpretation die Erforschung des eigentlichen künstlerischen Kontextes voraus. Der Künstler hat sich unter schwierigen Bedingungen entwickelt. In Rumänien gab es die offizielle Kunst und dementsprechend ein Diktat solcher Kunst, wenn auch nicht so aggressiv – im Unterschied zum politischen Diktat – wie, im Bereich der Bildenden Kunst, in der UdSSR. Es konnten auch jene Kunstrichtungen – mal erfolgreich, mal mit Müh' und Not – am Leben bleiben, die genealogisch aus der rumänischen Avantgarde stammten. In den 1920er Jahren war die Avantgarde sehr interessant und aktiv gewesen: Die konstruktivistischen Künstler hatten sich damals im Kreise der Zeitschriften Contemporanul, 75 HP, Integral und in anderen vereinigt. Man könnte auch noch an die nationale surrealistische Bewegung erinnern, die relativ spät entstanden und sogar noch in den ersten Nachkriegsjahren aktiv geblieben war. Der ganzen inoffiziellen Kultur in Rumänien war außerdem auch eine Sensibilität für die Ereignisse der französischen Kunstszene eigen – in Frankreich lebten im Exil auch die auf dem Gebiet der Kunst berühmtesten Rumänen.
Ich glaube, die Bereitschaft, sich die Botschaft französischer Kunstkultur anzueignen und sie nach eigener Weise zu interpretieren, hat die künstlerische Entwicklung Dobocans entscheidend bestimmt: Er orientierte sich an einer Sammelgestalt der surrealistischen Stilform, nämlich an jenen Versionen, wie sie im Werk von René Magritte und Paul Delvaux am anschaulichsten zur Geltung kommen und mit der Neo-Gegenständlichkeit, mit der eigenartig introvertierten Neigung zur Kontemplation ("Selbsthingabe um des Wunderbaren willen" / "l'abandon pur et simple au merveilleux" - so André Breton) und mit der Dialektik des Rationalen und Irrationalen verbunden ist.
Es ist hier gleich klarzustellen: Es geht gar nicht um Entlehnungen und Appropriation, sondern um eine ganz bestimmte Optik. Diese Optik macht eine Gestalt vieldeutig und verleiht ihr die innere Dramatik, die mit der Identifikation des Magischen und Irrealen im Realen verbunden ist. Dobocans Pastell-Bilder Ende der 1970er bis 1980er Jahre sind quasigegenständlich. Das einzige und wichtigste Ziel des Künstlers scheint die Repräsentierung der gegenständlichen Welt zu sein. In den entsprechenden Stilleben zeigt er sich durch das "stille Leben" der programmatischen Alltagsrealien – Flaschen, Gläser, Früchte – tatsächlich begeistert.
Auf die Erforschung dieses Lebens scheint das ganze Repertoire der Ausdrucksmittel gerichtet zu sein: Schon damals verstand es Dobocan, alle Möglichkeiten des Pastells im Bereich der Farb- und Tonnuancierung, der Abstufungswiedergabe, des Wärme-Kälte-Verhältnisses und so weiter auszunutzen. Inzwischen versteht man aber, dass diese betonte, aufdringliche Gegenständlichkeit gar kein Hauptinhalt der Gestaltung ist. Im Gegenteil wird die Dementierung der Repräsentationsobjektivität zum Inhalt. Es erweist sich, dass die Realität trügerisch und unerkennbar ist, dass ihr Dasein sich nicht auf das Äußere und Gegenständliche beschränkt. Das Bild wird nicht zur mehr oder weniger objektiven Widerspiegelung der empirischen Realität, sondern – wie es der russische Philosoph Pavel Florensky definieren würde – zur "magischen Maschine".
Auf welche Weise werden aber die Mechanismen des Metaphysischen in Gang gesetzt? Wie funktioniert die – oben erwähnte – Optik des Surrealistischen? Man kann hier einige charakteristische Verfahren finden: Eines davon ist die Verwendung der traditionellen surrealistischen Gestalten, die die Rolle eines Passwortes spielen. Sie sind es, die den Zugang zu den tiefstliegenden Aspekten des Werkes schaffen. So findet sich die Pfeife im Gegenstandssortiment seiner Stilleben immer wieder. Dank dieser demonstrativen Geste entsteht sofort der Bezug auf Magritte, der die Darstellung der Pfeife zum eigenartigen Signal der Abgrenzung des Verbalen vom Visuellen gemacht hat. Das Verfahren erinnert an das berühmte Werk "Ceci n'est pas une pipe" ("Das ist keine Pfeife") von Magritte – sowie an das Werk von Michel Foucault, der ihm einen gleichnamigen Essay gewidmet hat.
Ein anderes Verfahren der "Verfremdung" – ein Terminus der formalistischen Schule in Russland – oder der "Derealisierung" besteht in der Verwendung verschiedenartiger Kulissen, Vorhänge und Schirme. Dabei geht es weniger um die Theatralisierung des Raumes, sondern vielmehr um ein Zeichen des Überganges von einem Bewusstseinszustand zum anderen – von dem alltäglichen und nüchternen zum träumerischen und manchmal sogar sakralen.
Ein drittes Verfahren ist die Verwendung der für den Surrealismus typischen, sublimiert vieldeutigen gegenständlichen Realien und der damit direkt verbundenen Prozesse – was André Breton als "Durchschneiden der großen Traummagistrale" bezeichnet hat. Die Liste solcher Motive ist sehr lang: Sie umfasst das Auge und die im Fallen versteinerte Träne, vom Tisch ablaufende, aber als Tropfen nicht herunterfallende Milch, auf den Tisch geworfene Würfel, eine glimmende Zeitzündschnur und so weiter. All diese gegenständlichen und zeitlichen Realien – hinter jedem von ihnen steht eine bestimmte "Narration" und ein bestimmtes Zeremoniell des Zeitverlaufes - überführen die mögen – gewürzt ist. Dies gilt besonders für Dobocans Landschaften. Entsprechend sind auch die Farb- und Raumstrukturen der Werke bestimmt. Meistens wird dafür kein Pastell benutzt, das seinem Wesen nach eine "handgemachte", sinnlich-taktile Technik ist, sondern die Ölmalerei, die das kosmische Leuchten der Oberflächen und die Kälte der luftlosen Räume wiedergeben kann ("Steinwüste" / 1998; "Mitternacht" / 1996). Die inhaltliche und symbolische Füllung wird größer – die Vermehrung der Bedeutungen beeinflusst sogar die Titel der Werke, die immer universeller und vieldeutiger werden.
Dabei erhält die Kunst Dobocans, indem sie das modernistische Pathos und den spirituellen Charakter beibehält, – meiner Meinung nach – einige Züge postmoderner Reflexion. So neigt Dobocan zur Systematik, zum Zusammenstellen bestimmter Tabellen, Lexika, Herbarien und so weiter. Solche Einstellung – die am Anfang vielleicht nicht ganz bewusst gewesen ist, aber dann immer artikulierter wird – sehe ich in der Entwicklung des für Dobocan sehr wichtigen Themas der Musik. Im Rahmen dieses Themas scheint der Künstler alle möglichen Positionen, die technischen und gleichzeitig die inhaltlichen, zu systematisieren. Das Realisierungsverfahren entspricht immer sowohl der Sehweise als auch der Selbstpositionierung in Bezug auf bestimmte, im Kontext dieser Positionierung aktualisierte Kunstphänomene. Hier finden sich traditionelle Naturskizzen, aber auch das archaische "Trompe-l'œil"-Genre, verschiedene "Found Object"-Versionen sowie die Gegenstands- und Materialbehandlung im Sinne des traditionellen Surrealismus, der Pop-Art und des Fluxus. Dieses gesamte technische und kulturgeschichtliche Repertoire wird benutzt, um verschiedene Varianten der Musikexistenz in visuellen Bildern festzuhalten. "Versteinerte Musik", "ewige Musik", "Musik in der Seele", "Musik der Weltallsphären", "konkrete Musik" – das metaphorische, all diese Begriffe systematisierende "Musiklexikon" Dobocans lässt sich buchstäblich ständig erweitern und entwickeln.
In den Landschaften der letzten Jahre findet sich diese Neigung zur Systematisierung ebenfalls. Manchmal drückt sie sich schon im Verfahren der Ausstellungsrepräsentation der eigenen Landschaftswerke aus. In solchen Fällen wird die Ausstellung als eine anschauliche Tabelle landschaftlicher Erleuchtungen, Meditationen und Bewusstseinszustände gestaltet.
Ich bin sicher, dass das Werk von Dorél Dobocan die Aufmerksamkeit auch des russischen Publikums auf sich zieht und einen sehr guten Eindruck hinterlässt.
Autor: Alexander Borovsky, Chefcurator of Contemporary Art at the State Russian Museum, St. Petersburg